Stellungnahme zur Reform des Abstammungsrechts
(dargestellt im Eckpunkte-Papier vom 16. Januar 2024)
16.02.2024
Wir danken für die Möglichkeit der Stellungnahme zu den Eckpunkten der Reformvorschläge des Abstammungsrechts. Der Grundsatz unserer Stellungnahme lässt sich dabei sehr einfach
zusammenfassen:
Abstammung ist nicht beliebig, nicht zuordenbar, nicht vereinbar, nicht veränderbar.
Abstammung ist eindeutig feststellbar und genetisch definiert.
Viele der Vorschläge des Abstammungsrechts orientieren sich an den Paar-Konstellationen von lesbischen Paaren. Die Ehepartnerin der Geburtsmutter zum Zeitpunkt der Geburt nimmt ohne Frage die Rolle eines sozialen Elternteils ein, solange die Beziehung zur Geburtsmutter besteht (auch diese Beziehung kann enden). Es handelt sich hier um eine Patchwork-Konstellation ab Geburt. Die daraus entstehenden Rechtsfolgen sind im Kindschaftsrecht zu regeln und mit der Einräumung des kleinen Sorgerechts wurden hierzu zeitgleich durchaus praktikable Vorschläge unterbreitet.
Das Kind kann unter keinen Umständen von der Ehefrau der Geburtsmutter abstammen. Deren Status daher im Abstammungsrecht regeln zu wollen, ist sachlich falsch und unzutreffend.
Soweit in den Eckpunkten darauf hingewiesen wird, dass man die Schlechterstellung der Ehefrau der Geburtsmutter gegenüber dem Ehemann der Geburtsmutter beseitigen will, könnte man vermuten, dass dies von rechtlicher Unkenntnis der Herkunft der Regelung für den Ehemann beruht. Denn von diesem wird die biologische Abstammung des Kindes vermutet, ihm daraufhin die rechtliche Vaterschaft anerkannt und er übt die soziale Vaterschaft aus. Dies wurde auch durch den Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen ausführlich dargelegt:
„Die Zuordnungstatbestände des § 1592 BGB knüpfen an Kriterien an, die im Regelfall denjenigen Mann als rechtlichen Vater erfassen, von dem das Kind biologisch abstammt BT-Drucks. 16/6561 S. 8; vgl. auch Senatsbeschluss vom 6. September 2017 - XII ZB 660/14 - FamRZ 2017, 1855 Rn. 25 f.). Die Vaterschaft kraft Ehe beruht mithin darauf, dass diese rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung auch die tatsächliche Abstammung regelmäßig abbildet (vgl. etwa BVerfG FamRZ 2003, 816, 818; BeckOGK/Balzer [Stand: 1. August 2018] BGB § 1592 Rn. 45; Britz StAZ 2016, 8, 12; Jauernig/Budzikiewicz BGB 17. Aufl. § 1592 Rn. 1; Kaiser FamRZ 2017, 1889, 1895 f.; Helms StAZ 2018, 33, 34).
Dass dies in der Lebenswirklichkeit im Einzelfall unzutreffend sein kann, was auch etwa die Bestimmung des § 1600 Abs. 5 BGB aufgreift (vgl. Binder/ Kiehnle NZFam 2017, 742, 743), beseitigt nicht die Richtigkeit der regelhaften Annahme. Diese der gesetzlichen Regelung zugrundeliegende Vermutung ist für die mit der Kindesmutter verheiratete Frau dagegen keinesfalls begründet (vgl. BVerfG FamRZ 2010, 1621, 1622; Britz StAZ 2016, 8, 12; Kemper NZFam 2017, 832, 833). Vielmehr ist diese - abgesehen vom nicht vergleichbaren Ausnahmefall des mit der Kindesmutter verheirateten Samen spendenden Mann-zu-Frau-Transsexuellen (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 29. November 2017 - XII ZB 459/16 - FamRZ 2018, 290) - zwingend und damit abweichend von dem die Bestimmung des §
1592 Nr. 1 BGB tragenden Regelfall personenverschieden zum leiblichen Vater des Kindes.“
BGH XII ZB 231/18 vom 10.10.2018
Diese Annahme, die den Ehemann der Geburtsmutter zum abstammungsrechtlichen und rechtlichen Vater macht, kann auf die Ehefrau der Geburtsmutter unter keinen Umständen zutreffen, so dass hier keine Diskriminierung vorliegen kann. In den weiteren Eckpunkten des Abstammungsrechts wird auch in aller Deutlichkeit ausgeführt, dass die biologische Vaterschaft Ausgangspunkt für Vaterschaft und nicht beliebig ist. Auch aufgrund der Gewährung von Menschenrechten aus der EMRK hat der rechtliche, nicht biologische Vater zu weichen, wenn seine Vaterschaft erfolgreich angefochten wird, nachdem die biologische / genetische Vaterschaft festgestellt wurde. Die kognitive Dissonanz dieser gegensätzlichen Erklärungsmuster in einem Dokument ist bemerkenswert.
Da wir dem Bundesjustizministerium keine rechtliche Unkenntnis unterstellen, gehen wir davon aus, dass hier dem Druck von Lobbygruppen mit entsprechenden Partikularinteressen nach-
gegeben wird.
Dies unter Inkaufnahme von weiteren Diskriminierungen
- biologischer Väter der Kinder eines lesbischen Paares, welche keine Möglichkeit hätten, die rechtliche Mit-Mutterschaft anzufechten, da es hier keinen Irrtum geben kann
- rechtlicher, aber nicht leiblicher Väter, deren Vaterschaft durch den biologischen Vater angefochten werden kann
- schwuler Paare, bei denen ebenfalls ein Partner leiblicher Elternteil des Kindes ist und bei denen der Ehemann nicht in die zweite Stelle der Abstammung des Kindes eintreten könnte.
Wir sehen in dem Vorstoß weiterhin Verstöße gegen die UN-Kinderrechtskonvention, insb. Art 18 (Verantwortung für das Kindeswohl) und Art. 8 (Identität), gehen davon aus, dass dem Bundes-
justizministerium diese Verstöße bekannt sind und nehmen mit Erstaunen zur Kenntnis, dass bei einem Gesetzesvorhaben, welches massiv in die Lebensgestaltung von Kindern eingreift, nicht ein
einziger Bezug zur UN-Kinderrechtskonvention zu finden ist.
Gleiches gilt für die beabsichtigte Einführung von Elternschaftsvereinbarungen. Das Sorgerecht ist, genau wie die zuvörderst obliegende Pflicht das natürliche Recht der Eltern (Art. 6 (2) GG). Auch im Grundgesetz weist das „natürliche“ Recht auf die biologische, natürliche Abstammung und Herkunft des Kindes hin. Diese mit den vorliegenden Vorschlägen einer beliebigen Zuordnung preisgeben zu wollen, sehen wir nicht nur als einen Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Wir sehen solche Versuche auch mit dem Grundgesetz als unvereinbar an.
Die Versuche, eine Mit-Mutterschaft im Abstammungsrecht zu verorten, sind daher insgesamt als rechtlich unzulässig abzulehnen. Lesbischer als auch schwuler Elternschaft steht diese Ablehnung
allerdings nicht im Wege. Diese wäre allerdings im Kindschaftsrecht zu regeln. Unter Wahrung der Rechte des Kindes auf seine beiden biologischen Eltern und nicht in Konkurrenz zu diesen. Auch wenn dies den Interessen schwuler oder lesbischer Paare widerspricht, die den zweiten biologischen Elternteil aus dem Leben des Kindes ausschließen wollen – es geht hier nicht um Interessen oder Egoismen von Erwachsenen, sondern um die Rechte und das Wohlergehen von Kindern.
Insgesamt wäre der Gesetzgeber gut beraten, erstmals ein echtes Abstammungsrecht zu schaffen, was vor über 100 Jahren noch nicht möglich war. Heute lässt sich die tatsächliche Abstammung von Kindern zweifelsfrei bestimmen, mit Vermutungen und Annahmen braucht nicht mehr gearbeitet werden. Erklärungen zum Nichtbestehen der Elternschaft oder der Anfechtung ebendieser wären überflüssig.
Statt das Abstammungsrecht also immer komplexer zu gestalten und sich von der Abstammung von Kindern zu verabschieden, sollte die auch bisher schon dem Abstammungsrecht zugrunde liegende Ausgangsbasis der biologischen Abstammung den heutigen diagnostischen Möglichkeiten angepasst werden.
Jedes Kind hat eine Mutter. Jedes Kind hat einen Vater. Und darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass das Kind neben Großeltern und weiteren Familienangehörigen auch noch liebevolle, soziale und für das Kind ebenfalls wichtige Bezugspersonen haben kann, deren Rechtsbeziehung im Kindschaftsrecht verlässlicher geregelt werden sollten. Im Abstammungsrecht sind solche Regelungsversuche allerdings völlig fehl am Platze.
Der vorgelegte Entwurf ist ein Abstammungsrecht ohne Abstammung – zugunsten von Vermutungsgedanken und willkürlicher Zuordnung von Elternschaft.
Für Rückfragen und konstruktive Gespräche stehen die Verbände zur Verfügung.
Elmar Riedel |
Dr. Charlotte Michel-Biege |
Gerd Riedmeier |
Stefan Dringenberg |
Annemie Wittgen |
André Rossnagel |
Am 9. Februar 1999 trafen sich in Essen erstmals von Trennung oder Scheidung mit Kindern betroffene Elternteile, um sich über ihre Situation auszutauschen und sich gegenseitig Unterstützung und Hilfe zu geben. Aufgrund des Zulaufs und des Bedarfs entwickelte sich daraus der Verein "Eltern für Kinder im Revier", der am 15. April 2003 im Vereinsregister eingetragen wurde.
Im Laufe der Jahre wurden viele hundert Fälle diskutiert, Lösungswege erörtert und auch juristische Themen erarbeitet. Wir haben Betroffene dabei begleitet, den Kontakt zu ihren Kindern zu halten, wiederherzustellen oder auch den vollständigen Verlust des Kontaktes zu ertragen.
Auch wenn es in den letzten 25 Jahren einige wenige Verbesserungen der Rahmenbedingungen gab, halten wir es im Sinne der Kinder für sehr bedenklich, dass der Bedarf damals wie heute unverändert ist. Beratungsangebote richten sich fast ausschließlich an Elternteile, die ihr Kind überwiegend betreuen. Angebote für Elternteile, die auch nach Trennung oder Scheidung die Pflichten durch Betreuung und Erziehung ihrem Kind gegenüber erfüllen wollen, gibt es kaum. Die Beziehung eines Kindes zum anderen Elternteil wird zwar inzwischen weitgehend als wichtig bewertet, in der Realität erhält sie aber kaum Unterstützung - weder durch die Kinder- und Jugendhilfe noch durch Gerichte.
Trotz eines gesellschaftlichen Wandels beharrt das Familienrecht in vielen Bereichen auch im Jahr 2024 noch immer auf Lebensmodellen der 1950er-Jahre, verbunden mit überkommenen pädagogischen Konzepten, deren Ursprünge aus finsteren Zeiten stammen. Die von Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann unlängst vorgelegten Reformentwürfe ignorieren das Hauptproblem: Für Kinder und Eltern in konflikthaften Trennungssituationen ist weiterhin keine Besserung vorgesehen. Stattdessen erwarten wir mit großer Sorge, dass die vorgelegten Vorschläge die Anreize zur Strittigkeit weiter erhöhen.
Wer vor 25 Jahren geglaubt haben mag, dass es in dem 2020ern besser sein wird, wird in der Rückschau enttäuscht sein. Wir nehmen dies jedoch als Ansporn für unsere Tätigkeit, werden weiterhin betroffene Elternteile unterstützen und versuchen, sie für Politik und Medien sichtbar zu machen.
Wir bedanken für uns bei allen, die uns in den letzten 25 Jahren unterstützt haben und mit Rat und Tat zur Seite standen und hoffen auch für die Zukunft auf gute Unterstützung.
Erklärung zur Reform des Unterhaltsrechts für Trennungsfamilien
Vorgabe aus dem Bundesjustizministerium (BMJ)
Am 25. August 2023 kündigte Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann eine Reform des aus dem 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammenden Unterhaltsrechts an, benannte zahlreiche Probleme der bisherigen Rechtsnormen und formulierte Anforderungen an ein modernes Recht in einer gleichberechtigten Gesellschaft.
Mit Bedauern mussten die unterzeichnenden Verbände feststellen, dass in dem vor-gestellten Eckpunktepapier des Ministeriums wenig von diesen Zielen erkennbar ist. Das Ministerium hält weiter an tradierten Familien- und Rollenbildern fest und konterkariert seinen Ansatz durch minimale Entlastungen für mitbetreuende Eltern durch massive Erhöhungen an anderen Stellen.
Besonders auffällig sind dabei die beiden Anlagen des Eckpunktepapiers „6-Punkte-Modell“ sowie „Nächte zählen“ zur Erfassung der Betreuungsanteile der Eltern.
Als nicht eindeutig definiert erscheinen die angekündigten Änderungen im Bereich „Betreuungsunterhalt“.
Kritik am Entwurf des BMJ (Eckpunktepapier u. „6-Schritte-Modell“)
Der vorliegende Entwurf orientiert sich nicht an den Anforderungen an ein zeitgemäßes Familienrecht, sondern an der vom Ministerium in Gesprächen mit Verbänden, Anwälten und Richtern ermittelten „Durchsetzbarkeit“. Ein Problembewusstsein für die Belange mitbetreuender Eltern ist nicht erkennbar. Die von Justizminister Dr. Buschmann angekündigte offene Diskussion findet nicht statt und die von ihm benannten Ziele werden nicht erreicht.
Zudem ignoriert das Ministerium die vorgebrachte Kritik. Folgende Punkte haben die unterzeichnenden Verbände identifiziert:
- Die Verbände haben wahrgenommen, dass sich das BMJ aktuell nicht in der Lage sieht, die Betreuungsleistung von Eltern als gleichwertig zu betrachten und die anteiligen Bedarfe der Kinder in beiden Haushalten von Trennungsfamilien gleich-berechtigt zu würdigen.
- Weiter haben die Verbände mit Bedauern aufgenommen, dass das BMJ sich aktuell nicht in der Lage sieht, die im Sozialrecht bestehende Philosophie nach Gleichbehandlung der beiden Haushalte in das (private) Unterhaltsrecht zu über-nehmen. Im Sozialrecht werden die anteiligen Bedarfe konsequent aus Kindersicht wahrgenommen.
- Beunruhigend empfinden die Vertreter der Verbände die Formulierungen aus dem BMJ, eine linear-proportionale Aufteilung von Unterhaltsleistungen auf beide Haushalte im Verhältnis der Betreuungsleistungen würde sich streitverschärfend auswirken. Das Gegenteil ist der Fall: An den Grenzen (Stufen) erhöht sich erwiesenermaßen das Konfliktpotential. Die Eltern werden so strukturell in Auseinandersetzungen getrieben. Lineare Modelle hingegen verhindern Strittigkeit, da der Streitwert hier nur gering ist und sich durch Bagatellregelungen weiter reduzieren lässt.
- Anlass zur Sorge bereiten weiter die einzelnen „Schritte“ im 6-Schritte-Modell aus dem Eckpunktepapier: Die Rechenschritte erscheinen teils als willkürlich, teils als nicht logisch, teilweise als Eltern an der Meldeadresse bevorteilend bzw. Eltern in den zweiten Haushalten benachteiligend bis diskriminierend. Fragen nach der Verfassungsmäßigkeit der Rechenschritte drängen sich auf.
- Insbesondere die angedachte Addition von Nettoeinkommen beider Eltern bei der Ermittlung des „Bedarfes“ der Kinder ist nicht zielführend. Weshalb sollen die Nettoeinkommen von zwei Eltern addiert werden, wenn doch nur ein Elternteil unterhaltspflichtig bleiben soll?
An der Stufengrenze von 29% zu 30% Betreuung wird das augenscheinlich: Im ersten Fall erhält das Kind laut Beispielrechnung BMJ einen „Bedarf“ (laut Düsseldorfer Tabelle 2024) in Höhe von 706 € (Stufe 6) willkürlich zugewiesen, im anderen Fall von 926 € (Stufe 11). Ist dies jetzt ein anderes Kind? - Das Ministerium verzichtet darauf, die „Nettoeinkommen“ der getrennten Eltern zu definieren. Sind das „behauptete“ Einkommen, „fiktive“ Einkommen, Einkommen aus Vollzeit- oder Teilzeiterwerbstätigkeiten? Oder Einkommen aus „erhöhter Erwerbsobliegenheit“? Die Vorgabe ist so nicht eindeutig umsetzbar.
- Grundsätzlich gilt: Die Düsseldorfer Tabelle (DDT) war konzipiert für gesell-schaftliche Erwartungen aus den 50er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Damals war es üblich, dass das Kind von der Mutter (nahezu allein) betreut wurde, der Vater war (nahezu allein) für den Kindesbarunterhalt zuständig. Heute wird Care-Arbeit (auch in Trennungsfamilien) in vielen Fällen partnerschaftlich zwischen den Eltern aufgeteilt. Das heißt: beide betreuen, beide bezahlen. Dazu ist die demokratisch nicht legitimierte Düsseldorfer Tabelle als Grundlage ungeeignet.
- Auch die Selbstbeschränkung des BMJ auf ein bloßes „Nächte-Zählen“ bei der Ermittlung der Betreuungsanteile ist bedauerlich. Es verfälscht die Betreuungs-anteile. Heute ist es sehr leicht, die Betreuungsleistungen korrekt und ganzheitlich zu erfassen. Die Grundlage dazu liefert die „Betreuungsvereinbarung“ der Eltern. Darin regeln sie (bereits jetzt) die Zuständigkeiten in Schul- sowie in Ferienzeiten.
- Im BMJ scheint es ein Tabu zu sein, den Betreuungsunterhalt im Verhältnis zu den Betreuungsleistungen auf beide Haushalte aufzuteilen. Auch wenn das Kind klein ist (sogar bei Neugeborenen), kann der zweite Elternteil die Betreuung zu 40 % (Beispiel) übernehmen. Da erscheint es nur als angemessen, den Betreuungs-unterhalt proportional auf beide Haushalte aufzuteilen.
- Als grundgesetzwidrig sehen die Verbände die weiterhin bestehende juristische Fiktion an, Bedarfe der Kinder entstünden nur an der Meldeadresse und Mitbetreuung ließe sich als zu 15% pauschalierte „Bedarfsreduktion“ oder „Unterhaltsersparnis“ betrachten. Bedarfe entstehen dort, wo sich das Kind aufhält und Kinder haben in beiden Haushalten ein Grundrecht auf die Berücksichtigung ihres Existenzminimums.
- Mit Bestürzung haben die Verbände festgestellt, dass im bestehenden System offenbar keinerlei Abschätzungen durchgeführt werden, für welchen Anteil Betroffenen die aufgerufenen Sätze und Beträge überhaupt noch leistbar sind. Plausibilitätsrechnungen und Abgleiche mit der statistischen Einkommens-verteilung finden dem Vernehmen nach nicht statt, obwohl sie leicht durchführbar wären. Hier besteht die Gefahr, dass das Unterhaltsrecht (auch mit den vorgestellten Anpassungen) ein Recht bleibt, das die Realität nur noch für eine Minderheit der Trennungseltern abbildet und somit zu einer Erosion der rechtsstaatlichen Legitimierung führt.
- Die Steigerung der Unterhaltssätze hat sich seit Jahren in weiten Teilen von der Reallohnentwicklung entkoppelt. Für Unterhaltspflichtige nimmt zunehmend der Erwerbsanreiz ab, da für immer mehr Betroffene selbst in Vollzeittätigkeiten nur noch der Selbstbehalt verbleibt. Das Unterhaltsrecht drängt so immer mehr Menschen in den Bezug von Bürgergeld bzw. ihnen droht die dauerhafte Verschuldung durch unrealistische Unterhaltsforderungen. Umgekehrt erhält der Kindesunterhalt für den zeitlich mehr betreuenden Elternteil zunehmend den Charakter eines Zweiteinkommens für den Elternteil im Meldehaushalt, so dass auch hier der Erwerbsanreiz sinkt. Für beide Eltern macht Erwerbsarbeit verhaltensökonomisch immer weniger Sinn – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Politische Dimension und Bewertung
Die Verbände melden große Bedenken an bezüglich der Verfassungsmäßigkeit des Konzepts aus dem Bundesjustizministerium. Auffallend sind dabei die großen Ähnlichkeiten mit Forderungen aus dem Umfeld von „Alleinerziehenden“-Lobbyverbänden mit ihrem einseitigen Blick auf nur einen Haushalt in Trennungsfamilien: Dem Haushalt, in dem die Kinder gemeldet sind.
Das hat zur Folge, dass große Teile der Zivilgesellschaft sich mit dem Entwurf aus dem BMJ weder identifizieren können noch sich und ihre Bedürfnisse gesehen fühlen.
Zum aktuellen Stand verständigten sich die Verbände auf folgende Bewertung:
„Es ist besser, aktuell keine Reform umzusetzen als dieses Reformkonzept.“
Die Verbände fordern den Bundesjustizminister auf, am Konzept grundsätzliche Korrekturen vorzunehmen.
Zeitgemäße Lösungen
Eine zeitgemäße Lösung ist möglich – sofern der politische Wille vorhanden ist. Sie berücksichtigt folgende Punkte:
- Abschaffung der Hierarchisierung der Eltern in Betreuungs- und Umgangs-elternteile. Beide Eltern betreuen – meist zu unterschiedlichen Anteilen. Die bisherige Aufteilung in Residenz- und Wechselmodelle (mit einer Stufe bei 50 % Betreuung) ist damit obsolet; als Folge verringern sich der Streitanreiz.
- Gleichgewichtete und zeitanteilige Ermittlung der realen Bedarfe des Kindes in beiden Haushalten. Dazu müssen die Betreuungsleistungen beider Eltern gleichberechtigt berücksichtigt werden. Das Sozialrecht bietet hierzu bereits heute gemäß der Regelung zur „temporären Bedarfsgemeinschaft“ ein etabliertes und grundgesetzkonformes Vorgehen.
- Lineare Aufteilung des Barunterhalts auf beide Haushalte im Verhältnis der Betreuungsanteile – ohne Stufen.
- Harmonisierung von Unterhalts- und Sozialrecht bei der Bedarfsfeststellung. Grundlage für die Ermittlung der Bedarfe in beiden Haushalten sind die bestehenden Strukturen aus dem Sozialrecht: Grundbedarf, Mehr- und Sonderbedarfe der Kinder plus jeweilige Kosten der Unterkunft.
Die für lediglich einen unterhaltspflichtigen Elternteil konzipierte „Düsseldorfer Tabelle“ ist bei gemeinsamer Betreuung nicht sachgerecht und hat darüber hinaus keinerlei Rechtsgrundlage. Sie muss durch vorstehend aufgeführte Rechnung (anteilige Bedarfe plus jeweilige Kosten der Unterkunft) ersetzt werden. - Eine Kindergrundsicherung, die das Existenzminimum der Kinder in beiden Haushalten garantiert. Ist der Mindestbedarf des Kindes höher als der für die Eltern leistbare Unterhalt, so muss eine sachgerechte Kindergrundsicherung diese Lücke schließen und das Existenzminimum des Kindes in beiden Haushalten anteilig sichern.
- Differenzierte Erwerbsobliegenheit: Gesellschaftlich und politisch gewünscht ist „faires Teilen von Sorgearbeit“. Daraus folgt, beide betreuenden Eltern sind berechtigt, ihre Erwerbsarbeit zugunsten der Betreuung der Kinder zu reduzieren. Die Reduktion wird größer ausfallen, je kleiner (jünger) die Kinder sind. Nähern sich die Kinder altersmäßig der Volljährigkeit, so wird die erwartete Erwerbsobliegenheit gegen 100% Vollzeit-Erwerbstätigkeit gehen.
- Bestimmung der Betreuungsanteile im Jahresmittel über eine gesetzlich verankerte Betreuungsvereinbarung, in der die Eltern die Eckdaten der Betreuung eigenverantwortlich vereinbaren (Zeiten, Übergaben, Ferien- und Feiertagsregelung, Betreuungsanteil). Ausschlaggebend muss hier die Betreuungsverantwortung tagsüber sein, da diese die Erwerbstätigkeit einschränkt. Rechtliche Verankerung des Instituts der Betreuungsvereinbarung im Gesetz.
- Dispositive Regelung der Betreuungsaufteilung im Gesetz für die Zeit zwischen Trennung und Abschluss der Betreuungsvereinbarung (oder ersatzweise gerichtlichem Beschluss). Diese vorläufige Regelung muss aufgrund von Art. 3 GG und Art. 6 (2) GG eine hälftige Aufteilung zwischen den Eltern vorsehen, sofern diese nicht unter objektiven Gesichtspunkten dem Wohl des Kindes widerspricht.
- Ganzheitlicher Blick auf die Kinder und die Ressourcen in beiden Haushalten: Alle kindbezogenen Leistungen müssen im Verhältnis zu den Betreuungsleistungen auf beide Haushalte aufgeteilt und ausgezahlt werden:
• Kindesbarunterhalt
• Betreuungsunterhalt für betreuende Eltern
• Steuerliche Freibeträge
• Kindergeld
• Kindergrundsicherung
Für Rückfragen und konstruktive Gespräche stehen die Verbände zur Verfügung.
Elmar Riedel
|
Dr. Charlotte Michel-Biege
|
Gerd Riedmeier
|
Stefan Dringenberg
|
Annemie Wittgen
|
André Rossnagel
|
Im Urteil zum Fall 48698/21 "SIOUD v. GERMANY" vom 24.10.2023 stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fest, dass die Bundesrepublik Deutschland den Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) erneut verletzt hat. Das OLG Frankfurt hat das grundlegende Recht eines Vaters auf Betreuung und Erziehung seines Kindes ignoriert, indem es einen Umgangsausschluss verfügt hat, ohne das Kind anzuhören oder ein Gutachten zu beauftragen.
Die Mutter des Kindes hatte den Umgang verweigert und dies damit begründet, das Kind wolle nicht zum Vater. Jugendamt und Kinderschutzbund hatten unbegleiteten Umgang und die Einholung eines Gutachtens empfohlen. Obwohl eine Eltern-Kind-Entfremdung nahelag, wurden diese Empfehlungen von OLG Frankfurt nicht berücksichtigt und der Vater für acht Monate vom Umgang ausgeschlossen. Eine Beschwerde des Vaters wurde vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen (1 BvR 373/20).
Der EGMR hielt fest, dass das OLG Frankfurt das Kind hätte anhören müssen oder ein Sachverständigengutachten in Auftrag geben müssen. Stattdessen wurde der Beschluss ohne ausreichende Grundlage gefällt. Hierdurch wurde der Artikel 8 der EMRK verletzt, welcher das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens schützt.
Dem betroffenen Vater wurde ein Schadensersatz von 6.000 € für erlittene immaterielle Schäden zugesprochen, sowie weitere 6.000 € für seine Auslagen.
Am 16.09.23 fand im Unperfekthaus Essen unsere Tagung + Netzwerktreffen: "Psychische Belastung von Trennungsfamilien reduzieren - was kann die Politik in Deutschland tun?" statt.
Hier dokumentieren wir die Tagungsunterlagen und einige Eindrücke.
Mit einer Begrüßungsrede führte Reiner Neumann (efkir e. V.) in die Veranstaltung ein. Die Idee zur Tagung entstand aus unserer Arbeit als Selbsthilfegruppe von Trennungseltern. Insbesondere haben sich Familienberatungsstellen und Vertreter*innen von Jugendämtern angemeldet, außerdem Betroffene und Betroffenen-Verbände, dabei auch eine Großelterninitiative.
Es folgte ein digitales Grußwort vom Landtagsabgeordneten Marcel Hafke (FDP), der aufgrund von Kinderbetreuung nicht vor Ort sein konnte und ein kurzer aber reger Austausch mit den angereisten Landtagsabgeordneten Frank Müller (SPD) und Jens Kamieth (CDU), die sich beide sehr informiert und interessiert zeigten. Sie versprachen, das Thema der psychischen Belastung von Trennungsfamilien in die Landtagsarbeit einzubringen. Der Vertreter der GRÜNEN war kurzfristig verhindert.
In seinem Vortrag "Trennungen und Kindeswohl - Herausforderungen im Praxisfeld!" stellte der Kinderpsychologe Dr. Stefan Rücker die Belastungsfaktoren bei Trennungen insbesondere für Kinder dar und erleuterte die negativen Folgen eines "trennungsinduzierten Kontaktabrisses", wobei er von ca. 40.000 entfremdeten Kindern pro Jahr ausgeht. Im Anschluss ging er auf die Herausforderungen für die Praxis ein.
"Welche Unterstützung brauchen Trennungsfamilien?" - diese Leitfrage warf der Sozialwissenschaftler und frühere Jugendamtsleiter Dr. Marc Serafin in seinem Vortrag mit Bezug insbesondere zur Jugendhilfe auf. Bei bindungsfürsorglichen Elternverhalten, unterstützendem Co-Parenting und anteiliger Betreuung erleben Kinder, Eltern und die erweiterete Familie statistisch das größte Wohlbefinden. Mit zahlreichen Handlungsempfehlungen schloß er seinen Vortrag.
Im folgenden Speed-Debating konnten sich die über 50 Teilnehmer*innen der Tagung inhaltlich austauschen und Ideen entwickeln. Hierzu wurden 4 Stationen mit Flipchartpapier eingerichtet:
An der Station Jugendhilfe mit der beispielhaften Leitfrage "Was kann Jugendhilfe leisten, um Konflikte bei Trennungen zu reduzieren?" wurden folgende Anmerkungen gemacht:
- "Gewaltfreie Kommunikation - Bedürfnisse hinter dem Konflikt"
- "Ernstnehmen der Hilfesuchenden"
- "Eltern nicht nur einzelnd sondern überwiegend zu zweit anhören - weniger Möglichkeiten zu lügen"
- "Qualitätsrichtlinien und diese auch kennen + anwenden - sonst Sanktionen. Was in Bochum gilt muss in Essen gelten vs. kommunale Unabhängigkeit"
- "Zeitnehmen und haben für (psychologische) Bedarfe"
- "Meist wenig"
- "Die Voreinstellung überprüfen - kulturelle Sichtweisen 'Das Kind gehört zur Mutter sagt JA/JM. 80 % meiner Kolleginnen denken so. Mitarbeiterin Bewusstsein + Realität"
- "Wenn ein Elternteil boykottiert => Achtung: Kind in Gefahr! Automatisch in Richtung gleichgestellte Elternschaft arbeiten"
- "Falsch: bei wem möchtest du lieber leben? Richtig: Wir tun alles dafür, dass du Mama und Papa sehen wirst. Niemand geht verloren."
- "Den Kindern Anlaufstelle sein => Kollaborationen (bzw. - Kita - Schulen - Kinderärzte)"
- "Auflösen der 'Jugendamtlichen Dreifaltigkeit' (konkurrierende ASD/UVK/BSS)
- "Stärken der Elternteile herausarbeiten und Kind die Möglichkeit geben, von den Stärken zu profitieren"
- "Motivation des Kindes, das es 2 Kinderzimmer und doppeltes Spielzeug hat etc."
- "Aufklärung im Sinne des Erhalts beider Elternteile vom 1. Tag der Trennung an"
- "Mut - Kompetenz - Haltung - Liebe zu den Menschen"
Die vorgeschlagene Leitfrage für die Station Familienberatung war "Wie bekommt man in der Familienberatung den Fokus beider Eltern auf das Kind?"
- "Aufklärung beider Eltern über negative Folgen (gesundheitlich) von Eltern-Kind-Entfremdung fürs Kind"
- "Sie als Kindesmutter sind wichtig - Sie als Kindesvater sind wichtig ..."
- "2 Beratungsbereiche: Freiwillig - vertraulicher, geschützer Raum und Pflicht - was du hier zeigst, hat Folgen"
- "Keine Parentifizierung der Kinder in der Beratung (mit Kindern)"
- "Kind motivieren, dass es von beiden Eltern profitieren kann - z. B. Motivation des Kindes"
Bei den Elternverbänden wurde "Wie gewinnen Elternverbände Einfluss in der Debatte?! vorgeschlagen:
- "Größere Öffenlichkeitswirksamkeit - PR - Hilfsangebote über Jugendamt etc. verbreiten"
- "Herausforderungen "einfach" darstellen ´- Lösungsmöglichkeiten anbieten"
- "'Heißsporne' im Hintergrund belassen?!"
- "neue PR"
- "Koordinierte Vernetzung - 'eine starke faiere Stimme'"
Bei den Selbsthilfegruppen die Frage: "Was ist das größte Problem, vor dem Selbsthilfegruppen/Betroffene stehen?"
- "Schimpfen und Leiden - Opferhaltung und Pessimismus"
- "Sorgerecht? Artikel 6 GG - Kinder haben das Recht auf elterliche Fürsorge - Eltern haben die Sorgepflicht!"
- "Finanzielle Unterstützung für Väterverbände"
- "Es fehlt an Management/Coaching/Zielsetzung"
- "langjährige Verfahren - 2 - 7 Jahre - viele Gerichtsverfahren - > 5 - 10 - Beruf + Kinder läuft parallel - Prozess Strategie: keine Regeneration - Aufwände reduzieren - Gesetze vereinfachen"
- "kompetente Berater - gut qualifizierte Mediatoren zu finden"
- "Die 'Täter' fühlen sich als Opfer"
In der abschließenden Diskussion mit dem Publikum konnten viele Nachfragen beantwortet und Statements gegeben werden. Viele Betroffene Eltern, Großeltern und Angehörige meldeten sich zu Wort.
Wir danken den Referenten Dr. Rücker und Dr. Serafin, unsere Moderatorin Sabine Brauer und den Helfer*innen von efkir für ihren Einsatz und der Regionale Fördergemeinschaft der Krankenkassen in Essen für die Förderung.
Pressemitteilung
Am Wochenende fand die Tagung "Psychische Belastung von Trennungsfamilien reduzieren" im Unperfekthaus Essen statt. Vor über 50 Gästen aus Selbsthilfegruppen, Familienberatungsstellen, Jugendämtern und Politik referierten der Kinderpsychologe Dr. Stefan Rücker und der Sozialwissenschaftler Dr. Marc Serafin zum Thema. Insbesondere müsse Trennungseltern klar gemacht werden, dass für die Kinder zwei Botschaften am wichtigsten sind: "Du bist nicht Schuld an unserer Trennung" und "Du wirst Papa und Mama durch die Trennung nicht verlieren". Hier sehen die Experten dringenden Handlungsbedarf im Hinblick auf eine verpflichtende Beratung. Veranstalter der Tagung war der Verein "Eltern für Kinder im Revier", welcher einmal im Monat eine Selbsthilfegruppe für Trennungseltern anbietet. Informationen gibt es unter: www.efkir.de.
Das Bundesjustizministerium hat die Grundzüge der geplanten Reform des Unterhaltsrechts veröffentlicht. Es ist zu begrüßen, dass sich die Politik diesem für viele Trennungsfamilien wichtigen Themen nach vielen Jahren aktiver Vermeidung nun zuwendet. efkir nimmt gemeinsam mit fünf weiteren Verbänden zu den Eckpunkten des Ministeriums Stellung.
In der Pressekonferenz vom 25.08.2023 hat Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann die Grundzüge der geplanten Reform des Unterhaltsrechts dargestellt (Eckpunktepapier des BMJ). Es wurden einige wichtige Punkte angesprochen, die wir unterstützen können:
- Die Betreuungsleistung des zweiten Elternteils muss berücksichtigt werden.
- Konfliktfördernde Fehlanreize im Unterhaltsrecht müssen beseitigt werden.
- Selbstbehalte müssen durch Gesetz bestimmt werden, denn sozialpolitische Entscheidungen dieser Tragweite können nicht weiter an ein einzelnes Oberlandesgericht ausgelagert werden.
- Die realen Wohnkosten werden Im Selbstbehalt der Unterhaltspflichtigen berücksichtigt.
Wir begrüßen daher, dass sich die Politik diesem wichtigen Reformvorhaben nach mehreren Jahren aktiver Vermeidung nun zuwenden will. Jedoch enttäuscht der im Positionspapier veröffentlichte Ansatz gegenüber den eigenen Ankündigungen, da er der selbsterklärten Zielsetzung nicht gerecht wird.
- Qualitativ gleiche Betreuungsleistung der Eltern wird rechtlich weiterhin unterschiedlich bewertet. Dies ist in höchstem Maße diskriminierend und verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 GG.
- Die Einführung einer weiteren Stufe bei 30% Betreuung wird nicht zu weniger, sondern zu mehr Streit führen. Stufenmodelle sind inhärent konfliktfördernd.
- Die Bestimmung von Betreuungsanteilen nach Nächten ist nicht sinnvoll, da der notwendige Aufwand nachts am geringsten ist. Sehr viel sachgerechter erscheint die Bewertung der Betreuungsverantwortung am Tag, da hier tatsächlich die Erwerbstätigkeit eingeschränkt ist (z.B. durch Betreuung oder Krankheit der Kinder).
- Sowohl beim Kindes- als auch beim Betreuungsunterhalt sollen beide Einkommen als Bemessungsgrundlage für die Zahlungspflicht eines Elternteils dienen. Die Auswirkungen auf Erwerbsanreiz und Geburtenrate erscheinen hier nicht ausreichend durchdacht.
- Die vorgeschlagene Rechenmethode ist weder transparent noch nachvollziehbar.
Ausgangslage
Der vorliegende Reformvorschlag versucht ein System, das vollständig auf das Familienmodell der 1950er ausgerichtet ist, durch kleinere Reparaturen an die gesellschaftlichen Bedürfnisse der Gegenwart anzupassen. Dies kann nicht gelingen! Mehr noch, es entsteht der Eindruck, dass man das Ausmaß der Problematik noch gar nicht vollständig erfasst hat:
Die Unterhaltssätze können in der Mehrzahl der Fälle nicht mehr bezahlt werden.
Nach aktueller Studienlage kann der Kindesunterhalt in rund 50% der Fälle nicht und in weiteren 25% nicht vollständig gezahlt werden.[1] Die Rückholquote für den Unterhaltsvorschuss stagniert seit Jahren bei 18%.[2] Gleichzeitig gehen Anzeigen wegen Unterhaltspflichtverletzung zurück und machen nur einen verschwindend geringen Anteil der Fälle aus.[3]
Trotz massiver staatlicher Durchgriffrechte ist der Kindesunterhalt also in rund drei Viertel der Fälle überhaupt nicht mehr leistbar, weil sich die Entwicklung der Unterhaltssätze in den letzten Jahrzehnten immer mehr von der Reallohnentwicklung entkoppelt hat. Ein Recht, das die Realität aber in weit über der Hälfte der Fälle nicht mehr ausreichend abbildet, ist vollständig dysfunktional.
Das sächliche Existenzminimum im zweiten Haushalt wird nicht berücksichtigt.
Es ist logisch in keiner Weise nachvollziehbar, warum ein Kind in 60 % der Betreuungszeit 100 % Bedarf haben soll und in den restlichen 40 % gar keinen.
Dennoch besteht im Unterhaltsrecht die Fiktion, die Bedarfe des Kindes entstünden ausschließlich an der Meldeadresse. Bedarfe im Haushalt des Unterhaltspflichtigen sollen hingegen aus dessen Selbstbehalt gedeckt werden, was oftmals zur Unterschreitung des Existenzminimums führt. Wir halten dies für grundgesetzwidrig.
Unterhaltspflichtige werden zunehmend in den Bezug von Bürgergeld gedrängt.
Die beiden zuvor beschriebenen Missstände führen in der Konsequenz dazu, dass für immer mehr Unterhaltspflichtige die Aufstockung nach SGB II die einzig verbleibende Option ist.
Mit dem Ziel der Unterhaltsmaximierung wird im Unterhaltsrecht oftmals von zu hohen (teils „fiktiven“) Einkünften ausgegangen, während tatsächliche Aufwendungen unberücksichtigt bleiben.[4] Im Sozialrecht werden hingegen die realen Bedarfe des Haushalts betrachtet und auch der titulierte Unterhalt berücksichtigt. Dies führt dazu, dass der Selbstbehalt des Unterhaltsrechts oftmals unter dem im Sozialrecht definierten sächlichen Existenzminimum liegt. Wir halten auch diesen Sachverhalt für grundgesetzwidrig.
Das Dilemma einer Unterhaltsreform
Eine kosmetische Änderung des Unterhalts um 100 € bei Mitbetreuung wird an den grundlegenden systemischen Problemen des Unterhaltsrechts nichts ändern. Auch die – an sich begrüßenswerte – Erhöhung und Dynamisierung des Selbstbehalts hilft nicht weiter.
So führt eine Erhöhung des Selbstbehalts vor dem Hintergrund der obigen Punkte zwangsläufig zu noch mehr Mangelfällen. Ohne diese Maßnahme wiederum drängt der zu geringe Selbstbehalt Unterhaltspflichtige weiter in die Aufstockung nach SGB II, insbesondere in Fällen der gesellschaftlich doch eigentlich gewünschten Mitbetreuung.
Dilemma: In beiden Fällen werden staatliche Unterstützungsleistungen zunehmen. Für beide Eltern besteht zunehmend kein Erwerbsanreiz mehr, beiden Eltern droht Altersarmut.
Wenn aber der Staat im derzeitigen System zunehmend den Unterhalt der Kinder übernehmen muss (sei es durch Unterhaltsvorschuss oder über die durchgereichten Mittel aus dem Sozialbudget[5]), wäre es da nicht sinnvoll, die Verteilung des notwendigen Kindesunterhalts zwischen den Eltern untereinander sowie Eltern und Staat grundsätzlich neu zu regeln?
Hierzu müssen die folgenden, grundlegenden gesellschaftlichen Fragestellungen diskutiert werden. Leider hat es das Bundesfamilienministerium in den letzten Jahren versäumt, einen offenen zivilgesellschaftlichen Dialog hierzu zu moderieren.
1.) Wollen wir Sorgearbeit fair teilen?
Eine bessere Verteilung von Sorgearbeit wird nur bei gleichzeitiger Verteilung der Erwerbsverantwortung möglich sein. Dies wird durch das Prinzip „einer betreut, einer bezahlt“ im aktuellen Unterhaltsrecht jedoch strukturell verhindert. Für eine gleichberechtigte Aufteilung von Sorge- und Erwerbsverantwortung zwischen den Eltern braucht es im Unterhaltsrecht einen Paradigmenwechsel hin zu „beide betreuen, beide bezahlen“.
2.) Wie hoch sind die realen Bedarfe der Kinder in beiden Haushalten?
Das Unterhaltsrecht geht davon aus, dass Kinder lediglich an der Meldeadresse Bedarfe hätten. Die bei Mitbetreuung entstehenden Bedarfe im zweiten Haushalt werden ignoriert. Sachgerecht ist vielmehr der im Sozialrecht herrschende Grundsatz „die Bedarfe der Kinder entstehen dort, wo sie sich aufhalten“.
3.) Wie sichern wir die Bedarfe der Kinder in beiden Haushalten?
Oft wird übersehen, dass die Eltern auch nach einer Trennung eine Budgetgemeinschaft bilden, denn die Bedarfe der Kinder können nur aus dem Einkommen der Eltern gedeckt werden. Reicht dieses Einkommen der Eltern nicht aus, so muss der Staat das Existenzminimum der Kinder absichern. Ein Ansatz wäre hier eine grundgesetzkonforme Kindergrundsicherung, die die Bedarfe der Kinder in beiden Haushalten in den Blick nimmt.[6]
4.) Welche finanzielle Belastung ist für beide Eltern zumutbar?
Derzeit geht das Unterhaltsrecht von pauschalierten Beträgen aus, die pro Kind aufsummiert werden. Bei geringem Einkommen oder mit steigender Anzahl von Kindern werden Unterhaltspflichtige so stets auf ihren Selbstbehalt zurückgeworfen. Für immer mehr Betroffene macht Erwerbstätigkeit über den Selbstbehalt hinaus daher ökonomisch überhaupt keinen Sinn mehr.
Ein zeitgemäßes Unterhaltsrecht muss gewährleisten, dass für beide Eltern ein Erwerbsanreiz erhalten bleibt. Um dies zu erreichen, sollte man den leistbaren Unterhalt über einen prozentualen Anteil des Einkommens ermitteln.
5.) Wollen wir Sorgearbeit bezahlen?
Der Kindesunterhalt hat unter dem Vorwand der Statussicherung zunehmend den Charakter eines Einkommenstransfers erhalten. Im öffentlichen Diskurs erscheint hier der Zweck des Kindesunterhalts oftmals mit anderen Themen vermischt.[7]
Der Kindesunterhalt dient jedoch ausschließlich der Existenzsicherung des Kindes. Er ist keine gleichstellungspolitische Entgeltersatzleistung und auch keine Entschädigungszahlung für Lebensentscheidungen erwachsener Menschen. Dies kann Kindesunterhalt auch gar nicht leisten. Wenn wir als Gesellschaft Sorgearbeit entgelten wollen, dann bedarf es dafür einer eigenen gesetzlichen Regelung mit entsprechender Finanzierung.
Schlussfolgerungen
Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen gehen wir davon aus, dass eine Unterhaltsreform, wie sie im Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums dargestellt wird, keine Auswirkungen auf die eigentlichen Probleme von Trennungsfamilien hat, weil sie diese gar nicht adressiert.
Folgende Entwicklungen der nächsten Jahre sollten doch für alle Beteiligten absehbar sein:
- Der Geldtransfer an Unterhaltsempfänger wird weiter ansteigen. Hierzu tragen sowohl die jährlich steigenden Unterhaltssätze, die Ausgestaltung der Düsseldorfer Tabelle als auch staatliche Transferleistungen bei.[8]
- Der zeitlich mehr betreuende Elternteil zu sein erhält durch die umfangreiche Alimentation zunehmend den Charakter eines Zweiteinkommens, der Erwerbsanreiz sinkt folglich.
- Das Konfliktniveau zwischen Eltern wird weiter steigen, weil die hohen Unterhaltssummen für beide Eltern zunehmend existenziell werden (Unterhalt erhalten oder zahlen).
- Auch für die Unterhaltspflichtigen sinkt der Erwerbsanreiz, da für immer mehr Betroffene selbst in Vollzeittätigkeiten nur der Selbstbehalt verbleibt. Immer mehr Menschen droht die dauerhafte Verschuldung durch unrealistische Unterhaltsforderungen.
- Bei Mitbetreuung wird die Aufstockung nach SGB II zunehmend zum einzigen Ausweg, weil der Selbstbehalt hier regelmäßig unter dem sozialrechtlichen Existenzminimum des zweiten Haushalts liegt.
Ohne tiefgreifende Reform bildet sich hier ein System aus massiven Fehlanreizen aus. Für beide Eltern sinkt der Erwerbsanreiz – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Dies hat kurzfristige Folgen für den Arbeitsmarkt und langfristige Folgen für die Altersrente. Ebenso ist eine zunehmende Belastung der Sozialsysteme absehbar. Nicht zu vergessen sind die transgenerationalen Auswirkungen eines weiterhin hohen Konfliktniveaus auf die Kinder.
Gesellschaftlich führt ein dysfunktionales Unterhaltsrecht zunächst zu Ausweichverhalten der Betroffenen (Rückzug aus dem Arbeitsmarkt, Sozialleistungsbezug). Erfolgt dauerhaft keine Anpassung an die gesellschaftlichen Realitäten, so trägt dies letztlich zur Erosion der rechtsstaatlichen Legitimierung bei – die Betroffenen kündigen dem Staat innerlich.
Ein weiteres Aufschieben der notwendigen Reformschritte wird somit absehbar zu immensen gesellschaftlichen Kosten führen. Der Einstieg in die Aushandlung eines zukunftsfähigen Unterhaltsmodells lohnt sich also für alle.
Wirksame Reformschritte
Wir möchten nicht nur kritisieren, sondern wir möchten auch konkrete Maßnahmen benennen, durch die das obige Szenario zu vermeiden ist.
- Abschaffung der Hierarchisierung der Eltern in Betreuungs- und Umgangselternteil.[9]
Beide Eltern betreuen – aber möglicherweise zu unterschiedlichen Anteilen. Die bisherige Aufteilung in Residenz- und Wechselmodelle wäre damit überflüssig, der Streitanreiz verringert sich. - Ermittlung der zeitanteiligen Bedarfe des Kindes gemäß der etablierten und grundgesetzkonformen Regelung zur „temporären Bedarfsgemeinschaft“ aus dem Sozialrecht.
- Festsetzung des zumutbaren Unterhalts als prozentualer Einkommensanteil für beide Eltern.
Hierdurch erfolgt eine Kopplung des Unterhalts an die Reallohnentwicklung. Weiter bleibt der Erwerbsanreiz erhalten, da Einkommenssteigerungen anteilig bei den Eltern verbleiben. Beide Eltern bezahlen – aber in einem Umfang, der für sie auch leistbar ist. - Ausgleich von zeitanteiligen Bedarfen und zumutbarem Unterhalt zwischen den Eltern.
Wer weniger betreuen kann, zahlt mehr. Falls das Einkommen der elterlichen Budgetgemeinschaft nicht ausreicht, muss es einen existenzsichernden staatlichen Zuschuss geben. Dies könnte im Rahmen der geplanten Kindergrundsicherung erfolgen. - Bestimmung der Betreuungsanteile im Jahresmittel über eine Betreuungsvereinbarung, in der die Eltern die Eckdaten der Betreuung eigenverantwortlich vereinbaren (Zeiten, Übergaben, Ferien- und Feiertagsregelung, Betreuungsanteil). Ausschlaggebend sollte hier die Betreuungsverantwortung tagsüber sein, da diese die Erwerbstätigkeit einschränkt.[10]
- Rechtliche Verankerung des Instituts der Betreuungsvereinbarung im Gesetz.[11]
- Dispositive Regelung der Betreuungsaufteilung im Gesetz für die Zeit zwischen Trennung und Abschluss der Betreuungsvereinbarung (oder ersatzweise gerichtlichem Beschluss). Diese vorläufige Regelung sollte aufgrund von Art. 3 GG und Art. 6 (2) GG eine hälftige Aufteilung zwischen den Eltern vorsehen, sofern diese nicht unter objektiven Gesichtspunkten dem Wohl des Kindes widerspricht.
Wir würden uns sehr freuen, wenn die obigen Vorschläge zum Einstieg in einen konstruktiven zivilgesellschaftlichen Dialog beitragen.
Unterzeichnende Verbände
Forum Soziale Inklusion e.V. (
Eltern für Kinder im Revier e.V.
Quellen
[1] Siehe DIW 2014 und DJI 2020
[2] Siehe BMFSFJ 2022
[3] Siehe BKA 2022, die Anzahl der Verurteilungen dürfte wegen der oftmals fehlenden Unterhaltsfähigkeit noch weitaus geringer sein.
[4] Zwar wird in der Anlage zur Düsseldorfer Tabelle explizit auf die Möglichkeit zur Anpassung hingewiesen, hiervon wird in der Rechtspraxis jedoch quasi nie Gebrauch gemacht. Die juristische Illusion ist oftmals, Kindern ginge es besonders gut, wenn der Unterhaltsbetrag möglichst hoch sei.
[5] Siehe §11b (1) Nr. 7 SGB II
[6] Im aktuellen Gesetzentwurf der Kindergrundsicherung (Stand 30.08.2023) ist allein der Elternteil an der Meldeadresse antragsberechtigt. Existenzminimum und Bedarfe des Kindes im zweiten Haushalt werden – wie im Unterhaltsrecht – ignoriert. Wir halten dieses Vorgehen in beiden Fällen für grundgesetzwidrig.
[7] Dies wird auch durch Reaktionen wie „Ja, aber dann hat die Mutter doch weniger Geld.“ in der medialen Berichterstattung zum vorliegenden Reformvorschlag deutlich.
[8] Hinzu kommt noch die geplante einseitige Ausgestaltung der Kindergrundsicherung, die die Bedarfe der Kinder im zweiten Haushalt grundgesetzwidrig ignoriert.
[9] Hierzu würde die Streichung des zweiten Satzes in §1606 (3) BGB ausreichen.
[10] Wenn das Kind krank ist oder aus anderen Gründen betreut werden muss, so ist der verantwortliche Elternteil am gezählten Tag hierfür zuständig. Es sei hierzu auch auf die Rechtsprechung zur Zählung der Tage bei einer temporärer Bedarfsgemeinschaft hingewiesen (siehe SG Mainz Az. S 3 AS 312/11).
[11] Bereits jetzt gibt es für Trennungseltern die Möglichkeit, eine „Umgangsvereinbarung“ zu treffen. Diese hat jedoch keinerlei rechtliche Relevanz und ist daher oftmals nicht durchsetzbar.
- Einladung zur Mitgliederversammlung 2023
- Manipulation belegt: BMFSFJ lässt Petra-Studie verfälschen
- Gemeinsame Beschwerde zum Versuch, Eltern-Kind-Entfremdung auf Ebene der Vereinten Nationen unsichtbar zu machen
- Tagung + Netzwerktreffen: Psychische Belastung von Trennungsfamilien reduzieren - was kann die Politik in Deutschland tun?